Von Megan O’Donnell und Alisa Kaps.

Nach 16 Jahren unter Angela Merkel steht die Bundestagswahl vor der Tür und das Kanzler*innenamt ist neu zu besetzen. Selten schien es so schwierig vorherzusehen, wer dort einziehen wird. Doch ganz gleich, welche Parteien die neue Regierung bilden, wer ihr als Kanzler*in vorstehen und welches Geschlecht diese Person haben wird, eines ist sicher: Das Thema Gleichstellung der Geschlechter muss ganz oben auf ihrer Agenda stehen.

Die neue Bundesregierung wird Gelegenheit haben, sich als eine weltweit treibende Kraft für die Gleichstellung der Geschlechter zu positionieren – in einer Zeit, in der Führung dringend benötigt wird. Die Coronakrise hat die Fortschritte bei der Verwirklichung des nachhaltigen Entwicklungsziels 5 (SDG5, ‘Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen‘) beeinträchtigt. Gleichzeitig stellen sich einige  Nachbarländer Deutschlands gegen die  Förderung der Geschlechtergleichstellung oder ziehen sich bei dem Thema zurück, sei es im Rahmen von EU-Verhandlungen (z. B. Polen und Ungarns jüngster Vorstoß zur Streichung von Verweisen auf Geschlechtergleichstellung in EU-Erklärungen) oder in ihrer Entwicklungszusammenarbeit (z. B. die Kürzungen Großbritanniens bei der Unterstützung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit). In diesem Blog skizzieren wir die Herausforderungen bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, welche Maßnahmen Deutschland in jüngster Zeit zu diesem Thema ergriffen hat und was von der neuen Regierung noch erwartet wird.

Geschlechtergleichstellung während und nach COVID-19

In erster Linie braucht die Welt eine geschlechtergerechte Erholung von der Coronakrise, von der Frauen und Mädchen weltweit unverhältnismäßig stark betroffen sind. Neuste Forschungsergebnisse der COVID-19 Gender and Development Initiative (die im Center for Global Development (CGD) angesiedelt ist) zeigen, dass die negativen Auswirkungen der Krise Frauen und Mädchen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen überproportional treffen. Schon vor dem Ausbruch von COVID-19 waren die Erwerbsbeteiligung, der Zugang zu Finanzmitteln, die Qualität der Arbeitsplätze und die Entlohnung von Frauen nicht gleichwertig mit denen von Männern. Die Pandemie und die weltweite Rezession haben diese Unterschiede noch vergrößert.

Die Pandemie hat auch Rückschlägen für die Gesundheit, die Rechte und die körperliche Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen zur Folge.  Wirtschaftliche Einbußen und die Tatsache, dass Menschen während der Lockdowns zu Hause bleiben müssen, haben zu einem weltweiten Anstieg von geschlechtsspezifischer Gewalt geführt. Zudem wurde vielerorts  der Zugang von Frauen und Mädchen zu grundlegenden Gesundheitsdiensten erschwert. Das erhöht Gesundheitsrisiken – insbesondere für schwangere Frauen und Mädchen. In den ostafrikanischen Ländern, in denen die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) tätig ist, hat die Belastung der Gesundheitssysteme dazu geführt, dass Frauen und vor allem Mädchen häufiger unbeabsichtigt schwanger werden. Das hat unter anderem Folgen für ihre Bildungschancen: In Kenia ist die Zahl der Mädchen, die nach dem Lockdown nicht in die Schule zurückkehrten, doppelt so hoch wie die der Jungen. Unbeabsichtigte Schwangerschaften und Frühverheiratung gehören dabei zu den Hauptursachen.

Was Deutschland bisher unternommen hat

Einen aktuellen Eindruck des deutschen Engagements für einen geschlechtergerechten Aufschwung nach der Pandemie lieferte das Generation Equality Forum (GEF), das UN Women (in Partnerschaft mit Mexiko und Frankreich) anlässlich des 25. Jahrestages der Vierten Weltfrauenkonferenz und der Erklärung und Aktionsplattform von Peking veranstaltete. Ziel des Forums war es, Regierungen, internationale Organisationen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft dazu aufzurufen, ehrgeizige politische und finanzielle Verpflichtungen einzugehen, um die Gleichstellung der Geschlechter weltweit voranzubringen.

Bei den deutschen GEF-Zusagen standen Investitionen in die Bildung von Mädchen, in die wirtschaftliche Stärkung von Frauen (300 Mio. US-Dollar, u. a. für Mädchenbildung, Landrechtsprogramme und die Women Entrepreneurs Finance Initiative, kurz WEFI) sowie in die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt (96 Mio. US-Dollar, u. a. für den UN Trust Fund zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen) im Mittelpunkt. Beim Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechten (SRGR) zeigte Deutschland mit nur einer Zusage dagegen deutlich weniger Engagement. In den übrigen drei Kategorien des Forums (sogenannten Action Coalitions) zu Klimagerechtigkeit, Technologie und feministische Führung gab es gar keine Zusagen. Die mangelnde Priorisierung von SRGR steht dabei im Widerspruch zu Deutschlands Fokus auf die wirtschaftliche Stärkung von Frauen. Frühere CGD-Forschungen weisen auf die Notwendigkeit hin, die beiden Aspekte zusammen anzugehen, da sie sich gegenseitig bedingen.

Bruttoauszahlungen, in konstanten Preisen 2019; Quelle: OECD

Ein Blick auf die offiziellen Entwicklungsgelder (Official Development Assistance, ODA) gibt ebenfalls einen Eindruck über das Engagement Deutschlands für die Gleichstellung der Geschlechter: Im Jahr 2019 beliefen sich die deutschen Entwicklungsgelder, die Geschlechtergleichstellung entweder als wesentliches Ziel oder als Hauptziel verfolgten, auf sieben Milliarden US-Dollar – mehr als doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor. Das macht Deutschland in absoluten Zahlen zum zweitgrößten Geber für Geschlechtergleichstellung. Allerdings entspricht das nur 46 Prozent der gesamten bilateralen ODA – ein Wert, der weit unter dem Anteil von 2009 von fast 60 Prozent liegt. Dies spiegelt eine abnehmende Priorisierung von Investitionen in die Gleichstellung der Geschlechter wider. Mit den aktuellen Zahlen liegt Deutschland knapp unter dem Durchschnitt des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC) von 47 Prozent. Darüber hinaus lag der Anteil der Entwicklungsgelder mit dem Schwerpunkt auf Geschlechtergleichstellung im Jahr 2019 bei nur zwei Prozent (329 Millionen US-Dollar), während der Durchschnitt der DAC-Länder bei fünf Prozent lag. Deutschland bleibt damit weit hinter dem Ziel zurück, 8,5 Prozent der ODA-Mittel für Projekte mit dem Hauptziel Geschlechtergerechtigkeit aufzuwenden. Hierfür hatte sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen über das neue EU Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) selbst eingesetzt.

Was für die neue Regierung zu tun bleibt

Es steht außer Frage, dass Deutschland das Thema Gleichstellung der Geschlechter auf seiner Entwicklungsagenda hat. Aber es steht noch lange nicht so weit oben, wie nötig wäre, um einen nachhaltigen Beitrag zum Erreichen des SDG 5 zu leisten. Die neue Bundesregierung kann auf den Investitionen ihrer Vorgängerin in die wirtschaftliche Stärkung von Frauen, die Bildung von Mädchen, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR) sowie geschlechtsspezifische Gewalt aufbauen. Sie muss allerdings noch weitergehen und sicherstellen, dass die Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt wird. Ein geschlechtertransformativer Ansatz muss der neue Status quo der deutschen Entwicklungspolitik werden.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die stärkere Verankerung der Gleichstellung der Geschlechter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Zuge des „Reformprozesses 2030“. Derzeit ist Geschlechtergleichstellung in der Arbeitsstruktur des Ministeriums weder ein „Kernbereich“ noch ein eigener „Initiativbereich“, was der Bedeutung des Themas nicht gerecht wird. Mit der Umstrukturierung im Zuge des BMZ 2030-Prozesses wurde das Thema Geschlechtergleichstellung mit den Themen Menschenrechte und Inklusion zu einem sogenannten „Qualitätsmerkmal“ zusammengeführt, um all diese Aspekte in den Arbeitsbereichen des BMZ zu verankern. Diese Verschmelzung birgt jedoch die Gefahr, dass die Gleichstellung der Geschlechter zur Nebensache wird.

Darüber hinaus sollte die Entwicklung eines neuen Gender-Aktionsplans (GAP III) hohe Priorität bekommen. Seit 2014 wird das deutsche Engagement im Bereich der Geschlechtergleichstellung von einer sektorübergreifenden Strategie geleitet, während die Einzelheiten und Maßnahmen zur Umsetzung im Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter festgelegt wurden. Der letzte Gender-Aktionsplan  (GAP II) war von 2016 bis 2020 gültig, wurde aber danach nicht neu aufgelegt. Ein neuer GAP sollte den dreigleisigen Ansatz des GAP II – Gender Mainstreaming, Stärkung von Frauen und Mädchen und politischer Dialog – fortsetzen, dabei aber ehrgeizigere Ziele setzen und anders als bisher mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet sein.

Insgesamt sollte Deutschland die finanziellen Mittel für die Geschlechtergleichstellung deutlich aufstocken. Die Regierung sollte dem Beispiel des GAP III der Europäischen Union folgen und sicherstellen, dass 85 Prozent aller neuen Maßnahmen der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bis 2025 zur Stärkung der Rolle der Frau beitragen und seine Entwicklungsgelder entsprechend anpassen. Darüber hinaus sollte Deutschland so bald wie möglich mindestens 8,5 Prozent seiner ODA-Mittel für Projekte bereitzustellen, die Gleichstellung der Geschlechter zum Hauptziel haben. Mittelfristig sollten 20 Prozent der Entwicklungsgelder dafür aufgewendet werden.

Neben einem starken finanziellen Engagement muss die neue Regierung ihre Gender-Analyse sowie ihre Wirkungsmessung und das Monitoring von Zielen zur Geschlechtertransformation verbessern, um sich von Zielen, die sich allein auf Finanzströmen konzentrieren, hin zu stärker ergebnisorientierten Zielen zu bewegen. Die Umsetzung des GAP III sollte an inputorientierten Indikatoren gemessen werden, die z. B. den Fortschritt in Bezug auf geschlechtsspezifische Finanzierungsziele verfolgen (ein Indikator, der den Anteil der Entwicklungszusammenarbeit erfasst, der an Frauenrechtsorganisationen geht) und an Indikatoren zur Diversität beim Personal von Regierungen. Außerdem müssen die inputorientierten Indikatoren durch solche ergänzt werden, die sich auf Ergebnisse konzentrieren. Die kanadische Politik der internationalen Frauenförderung und die Indikatoren, mit denen ihre Fortschritte verfolgt werden, können als Vorbild dienen.

Deutschland hat in naher Zukunft die Möglichkeit, eine internationale Führungsrolle in Fragen der globalen Geschlechtergleichstellung zu übernehmen. Mit der G7-Präsidentschaft im Jahr 2022 hat die neue deutsche Regierung die Chance, den Ton in einer größeren Gruppe von Geberländern anzugeben. Die Bundesrepublik Deutschland sollte daher die Gleichstellung der Geschlechter gut sichtbar auf der G7-Agenda platzieren und sich als fähige und zuverlässige Partnerin positionieren, um die Errungenschaften im Bereich der Frauenrechte, Geschlechtergleichstellung und SRGR auf internationaler und EU-Ebene weiter zu stärken.