Man schreibt das Jahr 1994. Die Vereinten Nationen (UN) einigen sich bei einer internationalen UN-Konferenz in Kairo, der Weltbevölkerungskonferenz, auf einen neuen Fokus in der Bevölkerungspolitik: Die freie Entscheidung über den eigenen Körper und die gewünschte Kinderzahl. Eigentlich seltsam, dass man sich darauf erst einigen muss, oder? 

Verhütung mit Zielvorgabe

Weltbevölkerungskonferenz in Kairo kurz erklärtVor der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo sprach man vielerorts noch ganz anders über Bevölkerungsfragen. Die Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu verhüten, war weniger im Rahmen der Emanzipation oder des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung relevant. Stattdessen standen demografische Zielvorgaben im Vordergrund. Diese wurde unter anderem durch die Angst westlicher Industrienationen vor einem „ungebremsten Bevölkerungswachstum“ in den sogenannten Entwicklungsländern angetrieben: 1969 bekamen Frauen in den „am wenigsten entwickelten“ Regionen der Welt durchschnittlich 6,8 Kinder – dies waren zwei Kinder mehr als der damalige weltweite Durchschnitt und vier Kinder mehr als in stärker entwickelten Regionen.

Die Kinderzahl war und ist der offensichtlichste Faktor für das Wachstum der Bevölkerung. Die Fertilität galt es zu senken, um die „Überbevölkerung“ in den Griff zu bekommen – auch Zwang und Gewalt wurden hierfür in Kauf genommen. Der Zweck heiligte die Mittel. Ein extremes Beispiel hierfür ist die Ein-Kind-Politik in China, wo heftige Strafen verhängt wurden, wenn Paare ein zweites Kind bekamen. Dabei kam es nicht nur in China zu Menschenrechtsverletzungen wie erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen oder Zwangssterilisationen, wie etwa in Indien.

Das Menschenrecht an erster Stelle

Auch deswegen war die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo so revolutionär: Die Vereinten Nationen sprachen sich nämlich in ihrem „Programme of Action“ gegen diese Maßnahmen aus. Und siehe da: Man muss Frauen gar nicht dazu zwingen, weniger als sechs Kinder zu bekommen. Vielmehr wollen viele Frauen verhüten, können es jedoch nicht.

Dieser sogenannte „ungedeckte Bedarf an Familienplanung“ bedeutet, dass es an den Mitteln zur Verhütung (Kondome, Spirale, Pille etc.) mangelt oder an dem Zugang zu ihnen. Vielleicht verbietet der Ehemann, der Vater oder die Schwiegermutter die Nutzung von Kontrazeptiva. Vielleicht mangelt es aber auch an dem Wissen über die Anwendung oder am notwendigen Geld, Verhütungsmittel zu erwerben. Über 200 Millionen Frauen weltweit sind noch heute von diesem ungedeckten Bedarf betroffen. Ihnen wird damit verwehrt, über ihren Körper und die Anzahl ihrer Kinder zu entscheiden.

Widerstände halten an … und halten Fortschritt auf

Die Frage, ob wirklich allen Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Familienstand das Recht zugestanden werden sollte, uneingeschränkt über die eigene Sexualität und Kinderzahl zu entscheiden, war auch bei der Weltbevölkerungskonferenz vor 25 Jahren sehr umstritten – und ist es heute noch. Wenngleich der Zugang zu reproduktiver Gesundheit, einschließlich der Familienplanung, auf weitgehenden Konsens unter den anwesenden Staaten in Kairo stieß, dominierte die Diskussion um die legale und sichere Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft die Forderung nach reproduktiver Gesundheit und Rechten.

Nach intensiven Diskussionen einigte man sich in Kairo: „In Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich geregelt sind, sollten sie sicher sein und nur unter entsprechender medizinischer Begleitung stattfinden.“ Diejenigen Frauen, die in Ländern ohne entsprechende gesetzliche Regelung leben oder wo das Gesundheitssystem schwach ist, haben die Entscheidungsfreiheit weiterhin nicht. Für sie birgt dies eine Lebensgefahr: Ungewollt Schwangere setzen Tag für Tag aus Verzweiflung ihr eigenes Leben aufs Spiel. Im Zeitraum 2010 – 2014 waren in Afrika drei Viertel aller Schwangerschaftsabbrüche unsicher.

25 Jahre später: Woher kommt der Gegenwind?

Auch heutzutage behindert die Kontroverse um den Schwangerschaftsabbruch immer wieder die Familienplanungsprogramme. Selbsterklärte Lebensschützer*innen lehnen nicht selten auch die umfassende Aufklärung und Bereitstellung von Verhütungsmitteln ab – obwohl genau dies zahllose ungewollte Schwangerschaften, und damit auch Abbrüche, vermeiden würde.

Ein im Oktober 2019 veröffentlichtes Diskussionspapier des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung gibt einen Überblick über die Kräfte, die dem Recht auf die freie Entscheidung noch immer entgegenwirken. Es hält fest:

Unter dem wachsenden Einfluss der christlichen Rechte hat Trump die zuletzt unter seinen republikanischen Vorgängern geltende Mexiko-City-Policy wiedereingeführt und sogar noch verschärft. In Europa machen „AntiChoice“-Bewegungen und rechtspopulistische Kräfte, die die „traditionelle Familie“ und das Recht auf Leben schützen wollen, den Befürwortern der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung in Brüssel und Straßburg zunehmend das Leben schwer.

Global Gag Rule erklärtBesonders stark ist, laut Berlin Institut, der Einfluss der Kirche in afrikanischen Ländern, in denen ein großer Teil der Bevölkerung katholisch ist – etwa in Angola, Kenia, Nigeria oder Uganda. Einige Bischöfe würden dort beispielsweise den Nutzen von Verhütungsmitteln bestreiten oder diese sogar als „unheilig“ bezeichnen, wie etwa der kenianische Erzbischof Zacchaeus Okoth im Jahr 2017. Dies zeige bei vielen Menschen Wirkung.

Von Kairo nach Nairobi nach … ?

Trotz stetem Gegenwind sind wir weit gekommen. Seit 1994 beispielsweise hat sich die Zahl der Frauen, die verhüten können, im östlichen und südlichen Afrika verdoppelt. Und die Müttersterblichkeitsrate in den am wenigsten entwickelten Regionen der Welt hat sich seitdem halbiert. Mit besserem Zugang zu Verhütungsmethoden und Sexualaufklärung, mehr Mitbestimmungsrecht und Bildungschancen von Mädchen, ist auch die Geburtenrate gesunken. (UNFPA-Weltbevölkerungsbericht 2019)

Es gilt nun, die Kräfte zu bündeln und die Entscheidungsfreiheit rund um Sexualität und Fortpflanzung zu verteidigen und voranzubringen, so wie es die 179 Staaten bei der Weltbevölkerungskonferenz vor 25 Jahren versprochen haben.

„Es war ein historisches Ereignis“, erinnert sich DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr, die vor 25 Jahren an der Konferenz teilnahm, „doch wir können uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen. Die DSW wird also auch die diesjährige Weltbevölkerungskonferenz, den Nairobi Summit, nutzen, um eine menschenrechtsbasierte Bevölkerungspolitik voranzutreiben, die auf einer guten Gesundheitsversorgung, Gleichberechtigung der Geschlechter und dem selbstbestimmten Zugang zu Familienplanung basiert.“

Nur so können wir es schaffen, dass jeder Mensch aufgeklärt, jede Schwangerschaft gewollt und jede Geburt sicher ist.